verdikt 2.22 , Seite 9 beitragen, oder ob sie durch andere berücksichtigungsfähige Belange überspielt werden, lässt sich derzeit noch nicht absehen. . Ein weiteres Betätigungsfeld für die Gerichte stellt die Prüfung von Umweltverträglichkeiten dar. Hier haben wir schon bisher zahlreiche Prozesse vor den Verwaltungsgerichten erlebt, die, soweit ich sehe, ausnahmslos zugunsten der Kläger (häufig die Deutsche Umwelthilfe) ausgegangen sind oder mit Vergleichen endeten, mit denen die Anlie- gen der Kläger weitgehend erfüllt wurden – eigentlich auch kein Wun- der, waren die »Ausreden« der staatlichen Stellen doch häufig allzu durchsichtig und einer an Gesetz und Recht gebundenen staatlichen Verwaltung nicht würdig. . Auch ließen sich Überlegungen zu Staatshaftungsansprüchen erörtern,10 die hier aber nicht weiter verfolgt werden sollen. Die weltweite Perspektive . Auch »weltweit rollt eine Welle von Klimaklagen auf die Gerich- te zu: gegen Unternehmen, gegen Staaten, gegen Politiker. Manche zielen auf die Einhaltung geltender Klimaschutzverträge, manche auf Schadensersatz von Umweltsündern, manche sollen Politiker und Firmenbosse gleich hinter Gitter bringen« (so Die Zeit, Nr. 48 vom 25.11.21).11 Exemplarisch seien hier vier Verfahren vorgestellt: Luciano Lliuya (Peru) gegen RWE AG . Ein Beispiel mit internationalem Bezug ist das Verfahren vor dem OLG Hamm (5 U 15/17), in dem der peruanische Bauer Saúl Luciano Lli- uya den deutschen Konzern RWE darauf verklagt, ihm bei Schutzmaß- nahmen gegen eine drohende Überschwemmung in seiner Heimat fi- nanziell zu helfen.12 Die Klage, die zunächst vom LG Essen abgewiesen wurde, wird dabei auf § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützt. Konkret wird verlangt, festzustellen, dass RWE verpflichtet ist, anteilig entspre- chend ihrer Emissionen, die Kosten für Schutzmaßnahmen zu tragen, die zu Gunsten des Hauses des Klägers vor einer Gletscherflut ergriffen werden. Hauptschwierigkeit bei der erfolgreichen Geltendmachung von Klimafolgeschäden ist die Feststellung der Kausalität. Indem das OLG Hamm hier mit seinem Hinweis- und Beweisbeschluss vom 30. November 2017 in die Beweisaufnahme eingetreten ist und die Klage damit für schlüssig gehalten hat, dokumentiert es, dass eine solche Feststellung jedenfalls in diesem konkreten Einzelfall offenbar mög- lich ist. Inzwischen ist ein Teil der Beweisaufnahme mit einem Orts- termin in Peru begonnen worden.13 Dabei ging es darum, ob überhaupt ein Risiko für das Haus des Klägers besteht. Nunmehr müssen Sachver- ständige klären, ob die durch RWE verursachten Emissionen tatsäch- lich Einfluss auf die abschmelzenden Gletscher hatten und haben. 10 Siehe Isabell Böhm, Staatsklimahaftung, Baden-Baden Nomos, 2021. 11 Eine weitergehende Aufgliederung findet sich bei Lennartz in: Kahl/Weller (HG), Climate Change Litigation, München, Beck, 2021, S. 97 ff., 99 f. 12 Dazu Köck, ZUR 2017, 373; Kling, KJ 2018, 213 ff.; die Argumentation der Kraftwerksbetreiber wird deutlich in der Sachverhaltsdarstellung unter https://www.bbh-blog.de/alle-themen/ energie/die-klimaklage-eines-peruanischen-bauern-gegen-rwe-der-beweisbeschluss/. 13 Siehe Peruanischer Bauer vs. RWE am OLG Hamm: Ortstermin zur Klimaklage in Peru abgeschlossen. In: Legal Tribune Online, 27.05.2022, https://www.lto.de/persistent/a_ id/48581/ (abgerufen am: 09.11.2022); ausführliche Dokumente von German Watch unter https://rwe.climatecase.org/; dort auch ein Webinar vom Oktober 2022, https://www.youtube. com/watch?v=FzZgDlK8jTw. Milieudefensie u. a. gegen Royal Dutch Shell (Niederlande) . Während es bei dem vorangegangenen Prozess um die Bewälti- gung der Vergangenheit geht, dreht sich ein Prozess in den Nieder- landen gewissermaßen um die Zukunft. Dort wurde Shell von einem Bezirksgericht dazu verurteilt, seine CO2-Emissionen um 45 Prozent gegenüber 2019 zu senken. Geklagt hatten sieben Umweltorganisatio- nen und 17.000 Einzelpersonen.14 In ihrer Begründung beriefen sich die Richter unter anderem auf die Europäische Menschenrechtskonventi- on und das darin verankerte Recht auf Leben.15 . Nach solchen Urteilen lässt sich die Frage stellen, was schneller steigt: die Erderwärmung oder das Risiko für Unternehmen, weiterhin Öl- und Gasfelder oder Kohleminen zu erschließen? Auch Fluggesell- schaften, die Chemie- und die Agrarindustrie könnten gerichtlich zu Schadensersatz und schnelleren Klimaschutzmaßnahmen gezwungen werden. Umweltorganisationen haben schon angekündigt, dass sie in diesen Branchen ebenfalls Klagen prüfen. . Auch von anderer Seite droht den Unternehmen Ungemach. In aller Welt nimmt die Zahl der sogenannten Red-Line-Zonen zu, in denen kein Versicherer mehr Versicherungsschutz gewähren will und auch der Staat jede Hilfe ablehnt, wenn Fluten, Waldbrände, Erdrutsche oder Sturmschäden zu erwarten sind. Hinzu kommen Gegenden, in denen die Versicherer zwar noch ein Angebot abgeben, die Prämien aber von der Bevölkerung nicht mehr aufgebracht werden können. Daniel Billy u. a. gegen Australien . Eine bemerkenswerte Entscheidung hat jüngst auch der UN-Aus- schuss für Menschenrechte getroffen. Im Verfahren Daniel Billy et al. v. Australia16 hatten australische Ureinwohner, die auf einer Reihe nied- riger Inseln in der Torres-Straße an der Nordküste Australiens leben, der australischen Regierung vorgeworfen, sich nicht ausreichend für den Klimaschutz einzusetzen. Darin sahen sie eine Verletzung ihrer Menschenrechte. Durch die Erderwärmung und den steigenden Mee- resspiegel seien ihre Heimat und ihre Kultur bedroht. . Australien müsse seine Emissionen bis zum Jahr 2030 auf einen Wert drosseln, der mindestens 65 Prozent unter dem von 2005 liege. »Die steigenden Meere bedrohen schon jetzt Häuser, beschädigen Grä- ber und heilige kulturelle Stätten«, heißt es in der Beschwerdeschrift. Viele Inselbewohner fürchteten, dass noch zu ihren Lebzeiten die In- seln einfach verschwinden könnten, wenn nicht bald gehandelt werde. . Mit der jetzt ergangenen Entscheidung vom 22. September 2022 gelang es den Klägern erstmals, die Zulässigkeitsgrenze einer Klima- klage vor diesem Ausschuss zu überspringen und letztlich eine Verur- teilung Australiens zu erreichen.17 Dabei stützte sich der Ausschuss auf die Vorschriften des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte 14 Dazu Saurer/Purnhagen, ZUR 2016, 16 ff. 15 Zu Einzelheiten siehe LTO 01.06.2021, https://www.lto.de/persistent/a_id/45095/ (abgeru- fen am: 10.11.2022). 16 No. 3624/2019; https://cer.org.za/wp-content/uploads/2022/10/Daniel-Billy-and-others-v- Australia-Torres-Strait-Islanders-Petition.pdf. 17 Zu dieser Entscheidung ausführlich Kahl, Verena: Rising Before Sinking: The UN Human Rights Committee’s landmark decision in Daniel Billy et al. v. Australia, VerfBlog, 2022/10/03, https://verfassungsblog.de/rising-before-sinking/.